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Serbiens Illusionen in Kosovo

Die vom serbischen Parlament verabschiedete Kosovo-Deklaration hat mit der Realität in der ehemaligen serbischen Provinz wenig zu tun. Die Parlamentarier in Belgrad geben sich Illusionen hin, wenn sie glauben, es werde eines Tages alles wieder so sein, wie es einmal war. In der Deklaration wird der Eindruck erweckt, dass die staatliche Souveränität Serbiens über Kosovo wiederhergestellt wird, sobald die Uno-Übergangsverwaltung die Bedingungen dafür geschaffen hat. Doch wird die Herrschaft Belgrads wohl nie mehr bis nach Kosovo reichen.

In dem Dokument wird festgehalten, dass Kosovo ein unabtrennbarer Teil Serbiens ist und bleiben muss – eine Forderung, die auch in der neuen serbischen Verfassung verankert werden soll. Natürlich ist auch die Rede von einer «substanziellen Autonomie». Sie wird aber schon dadurch entwertet, dass sie praktisch auf die gleiche Stufe gestellt wird wie die Autonomie der früheren und heutigen serbischen Provinz Vojvodina, ungeachtet der in keiner Weise vergleichbaren historischen und politischen Verhältnisse.

Die Rückkehr der von albanischen Extremisten vertriebenen oder geflohenen Serben und die Wiederherstellung eines, wie nun auch in Belgrad immer betont wird, multiethnischen Kosovo werden in dem Dokument als Bedingungen für die Aufnahme von Gesprächen über den künftigen Status der Provinz genannt. Bisher sind allerdings erst wenige Serben zurückgekehrt. Das liegt auch an den albanischen Extremisten, die vor keinen Mitteln zurückschrecken, um die Serben von der Rückkehr abzuhalten. Doch zeigt sich immer mehr, dass die Statusfrage nicht endlos auf die lange Bank geschoben werden kann. Der politische Schwebezustand erschwert den Aufbau staatlicher Institutionen und behindert die Wirtschaftsentwicklung.

Ein multiethnisches Kosovo nach westlichen Vorstellungen mit funktionierenden gemischten Institutionen bleibt wohl, sosehr man das bedauern mag, eine Illusion. Daran dürften auch die Bemühungen der Uno-Verwaltung nicht viel ändern. Seit Kosovo ein Teil Serbiens ist, also seit 1912/13, hat immer die eine der beiden Volksgruppen, meist die serbische Minderheit, die Herrschaft ausgeübt und die andere unterdrückt. Heute sprechen Serben und Albaner viel von Demokratie und meinen damit die Herrschaft über die andern. Gerade in den grösseren Städten, in denen es am ehesten Ansätze zu einem Zusammenleben gegeben hat, leben heute praktisch keine Serben mehr. Auf dem Lande gab es immer nur ein prekäres Nebeneinander in ethnisch gemischten Dörfern.

Die Deklaration zeigt, dass Belgrad nicht gewillt ist, auf Kosovo zu verzichten. Immer wieder wurde in Serbien kritisiert, die Regierung habe keine Strategie und schiebe das Problem nur vor sich her. Auch mehrten sich in Belgrad die Stimmen jener, die der Meinung sind, das Land zahle für das Festhalten an Kosovo einen zu hohen Preis. Die Regierung hat nun eine klare Position bezogen. Sie beharrt auf den Maximalforderungen. Damit aber bindet sie sich selbst die Hände. Der Spielraum bei den Verhandlungen über den Status Kosovas ist noch enger geworden, eine Kompromisslösung scheint noch schwieriger zu sein. Das Gleiche gilt für die kosovo-albanischen Politiker, die stur an ihrer Maximalforderung der Unabhängigkeit festhalten und der irrigen Meinung sind, die Statusfrage habe sich mit dem «Unabhängigkeitskrieg» erledigt.

Es führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass Belgrad auf das Geschehen in Kosovo keinen direkten Einfluss mehr hat und auch keinen entscheidenden politischen Einfluss mehr haben wird. Kosovo ist faktisch unabhängig. So verabscheuungswürdig die Gewaltakte albanischer Extremisten gegen serbische Zivilisten sind: Belgrad kann das Rad der Geschichte nicht mehr zurückdrehen. Das Regime Milosevic hat durch die faktische Aufhebung der Autonomie Kosovas und durch seine Unterdrückungspolitik die Sezession der Albaner provoziert.

Die Kosovo-Deklaration ist auch innenpolitisch motiviert. Erstmals seit langer Zeit kann nämlich die zerstrittene politische Führung, deren Reformelan erneut ins Stocken geraten ist, nach aussen hin wieder Einigkeit demonstrieren. Die Frage allerdings bleibt, ob es nicht besser wäre, wenn die serbische Regierung, statt neue Illusionen zu wecken, die Bevölkerung endlich darauf vorbereiten würde, dass das Land in der Kosovo-Frage früher oder später um weitgehende Konzessionen nicht herumkommen wird.

Autor: C. Sr.
29. August 2003, 02:08, Neue Zürcher Zeitung
Serbiens Illusionen in Kosovo
http://www.nzz.ch/2003/08/29/al/page-kommentar928U8.html

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