Die im ehemaligen Jugoslawien verbreitete Aussage “Der Jugoslawien Konflikt begann im Kosovo und wird dort enden” spiegelt die zentrale Bedeutung des Kosovo-Konfliktes wider. Für viele mag dieser Satz unverständlich sein, da das Augenmerk der internationalen Politik in Europa erst nach dem Frieden von Dayton auf das Kosovo gelenkt wurde, obwohl dort der erste und langwierigste von allen jugoslawischen Konflikten ausgetragen wird, bei dem eine Aussöhnung noch nicht abzusehen ist.
Der vorliegende Aufsatz untersucht die verschiedenen Ebenen des Konfliktes und ist deshalb dreigeteilt. Das erste Kapitel stellt die historischen Ursachen des Konfliktes dar, indem sowohl die serbische als auch die Kosovarische Perspektive aufgezeigt werden. Eine umfassende Darstellung der Geschichte des Kosovo wird nicht angestrebt. Das Kapitel beschränkt sich auf die Darlegung der von beiden Seiten aus der Geschichte abgeleiteten Rechte auf das Kosovo.
Der zweite Teil stellt die soziologisch und wirtschaftliche Ebene des Konfliktes in den Mittelpunkt und untersucht ihren mittelbaren oder unmittelbaren Einfluß auf den Konflikt. Das dritte Kapitel versucht, eine Bestandsaufnahme des politischen Status sowie der Situation des Kosovo seit Ende des Zweiten Weltkrieges zu leisten. Der Darstellung der politischen Ebene ist der größte Raum innerhalb dieser Arbeit eingeräumt worden, da erst die Kenntnis der politischen Aktion und Reaktion die schnelle Eskalation des Konfliktes nachvollziehbar werden läßt. Hierbei ist die Rolle der Großmächte und ihrer Politik allerdings weitgehend ausgeklammert worden.
Der Arbeit liegt die These zugrunde, daß die Ursache des Konfliktes im Versuch der Durchsetzung des alleinigen Anspruchs am Kosovo durch die serbische Nation seit Mitte der 80er-Jahre gesehen werden muß. Der Anspruch der Serben am Kosovo, der durch den serbischen Nationalismus neu ausgelöst wurde, konnte durch Slobodan Milosevic geschickt für die eigene Machtergreifung und Stabilisierung seiner Herrschaft instrumentalisiert werden. Die daraus resultierende verfassungswidrige Gleichschaltung der autonomen Provinz Kosovo und die folgende „Entmündigung“ sowie Unterdrückung der Kosovaren waren erst der Kristallisationspunkte, die zu einem politischen und später militärischen Widerstand der Kosovaren gegen das serbische Unrechtsregime führten.
Begriffsdefinition
Die Bundesrepublik Jugoslawien besteht seit dem 27.04.1995 aus den Teilprovinzen Montenegro und Serbien. Die serbische Republik umfaßt zwei Provinzen: im Norden die Vojvodina und im Süden das Kosovo.
Das Kosovo mit der Hauptstadt Pristina grenzt im Norden und Nordosten an Serbien, im Nordwesten an Montenegro, im Westen an Albanien und im Süden an Makedonien. Es umfaßt eine Fläche von 10.887 m2 (ca. 10 mal so groß wie das Saarland) und hat eine Population von über 2 Millionen Menschen, von denen 90 % Albaner sind. Diese Bevölkerungsmehrheit wird im folgenden als Kosovaren bezeichnet, da sich diese Bezeichnung immer mehr durchsetzt und die demographischen Realitäten im Kosovo besser wiedergibt als der auch häufig verwendete Begriff der Kosovo-Albaner.
Historischer Kontext: Der historische Hintergrund des Konfliktes
Der Kosovo-Konflikt und seine Bedeutung für die gegnerischen Seiten wird nur durch die Kenntnis des historischen Kontextes verständlich, da nur er den Streit zweier Völker um ein Stück Land verständlich macht. In diesem Streit stehen sich die Kosovaren und Serben gegenüber, die beide ein historisches Recht am Kosovo für sich in Anspruch nehmen und dieses mit allen Mitteln verteidigen. Hierfür ist es unumgänglich, beide gegensätzliche Positionen zu verstehen, um den emotional verfärbten Streit zumindest nachvollziehen zu können. Sowohl Serben als auch Kosovaren können auf eine lange Verbundenheit ihrer Kultur mit dem Kosovo zurückblicken, die hier im einzelnen nicht dargestellt werden kann. Der entscheidende Aspekt für das Verständnis der historischen Dimension des Konfliktes sind die von beiden Seiten aus der jeweiligen Geschichte abgeleiteten „Nationalrechte“ am Kosovo, die mit der modernen Auffassung der Volkssouveränität der heutigen Nationalstaaten nicht in Einklang zu bringen sind.
In diesem Streit steht auf der einen Seite der in den achtziger Jahren neu erwachte serbische Nationalismus, der durch seine mit Mythen beladene Geschichte einen „historischen“ Anspruch auf das Kosovo durchsetzen möchte, ohne dabei die Bevölkerungsmehrheit der Kosovaren berücksichtigen zu wollen. Und auf der anderen Seite stehen die Kosovaren, die aufgrund der demographischen Realität und ihrer ebenso langen Verbundenheit mit dem Kosovo ein Selbstbestimmungsrecht einfordern, das ihnen einst durch die jugoslawische Verfassung garantiert und durch Milosevic genommen worden ist.
Die serbische Perspektive: Kosovo die „Wiege der Nation“
Erst nach dem Tode Titos 1980 entflammte der serbische Nationalismus wieder, der während der Tito-Zeit erfolgreich zurückgedrängt worden war. Titos Leitlinie, daß „nur ein schwaches Serbien ein starkes Jugoslawien garantiert“, ist nur aufgrund der historischen Erfahrung der anderen Völker im Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen von 1918-1941 verständlich, in dem die anderen Völker durch die hegemoniale Führungsposition der Serben innerhalb des Königreiches politisch unterdrückt wurden. Diese negativen Ressentiments der anderen Völker gegenüber den Serben veranlaßten Tito, ein serbisches Übergewicht in der sozialistischen Föderation Jugoslawien zu vermeiden und zugunsten eines föderalen Bundesstaates auf eine Zentralgewalt zu verzichten. Des weiteren gliederte er die Hauptsiedlungsgebiete der Kosovaren und Ungarn aus der Republik Serbien aus und richtete im Süden die autonome Region und spätere Provinz Kosovo ein, während er im Norden die Vojvodina von der serbischen Republik abspaltete.
Nach dem Tode Titos, der den Vielvölkerstaat seit 1948 zusammengehalten hatte, erwachte zuerst in serbischen Intellektuellenzirkeln der serbische Nationalismus, da sich die Serben als die „großen Verlierer“ des sozialistischen Jugoslawiens sahen. Ihrer Meinung nach war die Teilrepublik Serbien als einzige in ihren politischen Kompetenzen durch zwei autonome Provinzen eingeschränkt und hatte somit die schwächste Stellung von allen Teilrepubliken in Jugoslawien inne. Das besondere Interesse des serbischen Nationalismus lag dabei auf der autonomen Provinz Kosovo, die Region, die im serbischen Nationalverständnis als die „Wiege der Nation“ sowie der Serbisch-Orthodoxen Kirche gilt. Der politische Aufstieg des Slobodan Milosevic‘ gelang durch die geschickte Instrumentalisierung des serbischen Nationalismus und dessen Anspruch auf das Kosovo, indem er Mitte der achtziger Jahre die Wiederherstellung der „serbischen Staatlichkeit“ proklamierte, um das Kosovo wieder unter direkte serbische Kontrolle zu bringen. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts legitimierten serbische Nationalisten das „nationale“ Recht Serbiens am Kosovo durch den Bezug auf das für kurze Zeit blühende serbische Feudalreich im 14. Jahrhundert, als es unter Stefan Dusan seine größte territoriale Ausdehnung erreichte. Das Kosovo bildete im serbischen Reich das Kernland, und deshalb schien es als legitim, den erneuten Hoheitsanspruch durchzusetzen. Nach der Überlieferung ging das serbische Feudalreich nach der verlorenen Schlacht auf dem Amselfeld am 28.06.1389 gegen die Osmanen verloren und blieb bis zum ersten Balkankrieg 1912 unter osmanischer Herrschaft. Die Schlacht am Amselfeld wurde über die Jahrhunderte durch Legenden und Mythen zum nationalen Vermächtnis und zum Symbol des serbischen Freiheitswillens verklärt. Dieser Nationalmythos wurde durch Milosevic geschickt aufgegriffen und politisch instrumentalisiert. Das Kosovo ist demnach das Stammland der serbischen Nation und ihrer Kultur und somit serbisches Hoheitsgebiet.
Der Anspruch der serbischen Nation auf ein durch das „Recht des Eroberers“ gewonnenes mittelalterliches Territorium steht im krassen Widerspruch zu den modernen Prinzipien der Volkssouveränität und des nationalen Selbstbestimmungsrechts. Der serbische Nationalstaat kann nicht mit dem mittelalterlichen Imperium, das vor fünfhundert Jahren untergegangen ist, gleichgesetzt werden. Das Kosovo unterlag seit dem 14. Jahrhundert gravierenden Verschiebungen der ethnischen Siedlungsgrenzen und hat zumindest seit einem Jahrhundert eine albanischstämmige Bevölkerungsmehrheit, die Kosovaren, deren Recht auf Selbstbestimmung nicht aufgrund von längst vergangenen historischen Gegebenheiten unterdrückt werden kann. Auch die histographische Forschung widerspricht der serbischen nationalhistorischen Interpretation. Der Durchbruch zu einem serbischen Feudalreich gelang Stefan Nemanja 1169 durch die Vereinigung der im 11. Jahrhundert gegründeten Reiche Raska, in der Nähe des heutigen Nova Pazar, und Zeta, das heutige Montenegro im Kampf gegen Byzanz. Das Gebiet dieser vereinigten serbischen Reiche ist somit die Wiege des serbischen Feudalstaates, und liegt somit außerhalb des Kosovo. Auch befindet sich dort die „Geburtsstätte“ der Serbisch-Orthodoxen Kirche, die durch den Bruder Stefans, Rastko, der sich später den Mönchsnamen Sava gab, und in Zica das erste autokephale orthodoxe Bistum gründete, womit die Loslösung von der Oberhoheit der byzantinischen Kirche gemeint ist. Milosevic erreichte durch die Wiederbelebung des Nationalmythos „Kosovo“ die Stärkung des serbischen Nationalismus, der ihm letztendlich nur als Vehikel diente, um die Macht zu ergreifen.
Die Kosovarische Perspektive: Kosovo das Land der Kosovaren?
Ebenso wie die Serben haben die Kosovaren eine starke emotionale und historische Verbindung zum Kosovo und bilden schließlich auch mit 90 Prozent die Bevölkerungsmehrheit im Kosovo. Sie sehen sich als Nachfolger des alten Kulturvolkes der Illyrer und beanspruchen deshalb, die eigentliche Urbevölkerung des Kosovo zu sein. Der Sieg der Osmanen auf dem Amselfeld, in dieser Schlacht hatten auch albanische Stammesfürsten und ihre Truppen auf Seiten der Serben gegen die osmanische Übermacht gekämpft – war auch eine Niederlage für die albanische Bevölkerung, die zu einem Teil katholischem und zum anderen Teil orthodoxen Glaubens waren. Aus dem unzugänglichen Hochland versuchten sie noch Widerstand gegen die Osmanen zu leisten, doch kamen die Albaner nach dem Tode Skanderbegs (1405-1468), des legendären Heldens der Albaner, der über 20 Jahre den albanischen Widerstand organisierte, und nach der Eroberung der Festung Kruja 1478 endgültig unter die Herrschaft der Osmanen. Trotz dieser Niederlage hielten die Albaner ähnlich wie die Serben an ihrer Kultur und ihrem christlichen Glauben fest und arrangierten sich mit den Osmanen. Erst Mitte des 17. Jahrhunderts begann eine wirkliche Islamisierung der Albaner, vielleicht gezwungen, manchmal auch freiwillig. Nach den großen Auswanderungswellen der Serben Ende des 17. Jahrhunderts siedelten sich die Albaner extensiver in den verlassenen Siedlungsgebieten an, wobei bis heute ungeklärt ist, wie groß der Bevölkerungsanteil der Albaner zu dieser Zeit war. Das Kosovo ist auch die Geburtsstätte der modernen albanischen Nationalbewegung „Liga von Prizren“, die 1878 in Prizren gegründet wurde und eine albanische Verwaltungs- und Kulturautonomie im Osmanischen Reich erkämpfen wollte.
Das Hauptargument der Kosovaren allerdings ist die demographische Realität. Sie stellen schon seit den letzten Jahrzehnten die größte Bevölkerungsgruppe im Kosovo und fordern deshalb ein Selbstbestimmungsrecht über die autonome Provinz Kosovo, wie es ihnen auch die jugoslawische Verfassung seit 1948 versprach. Die Autonomie wurde ihnen allerdings erst in der Verfassung von 1974 gewährt. Die Anfang der achtziger Jahre ausbrechenden Protestwellen und die mit ihnen verbundene Forderung nach einer Republik Kosovo wurden durch die schlechten sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen im Kosovo im Verhältnis zu den anderen Regionen in Jugoslawien und der augenscheinlichen Benachteiligung der Kosovaren gegenüber den anderen slawischen Bevölkerungsgruppen ausgelöst. Die Kosovaren argumentierten damit, daß ihnen als drittgrößte Bevölkerungsgruppe innerhalb Jugoslawiens genauso eine gänzlich autonome Teilrepublik zustehen würde wie den Slowenen, deren Teilrepublik weniger Einwohner hatte als das Kosovo. Der serbische Vorwurf einer Sezessionsbestrebung der Kosovaren mit dem Ziel der Vereinigung mit Albanien war unbegründet, zu keiner Zeit hatte eine solche Forderung unter den Kosovaren eine Mehrheit. Dies erscheint auch deshalb verständlich, da die soziale und wirtschaftliche Lage in Albanien noch schlechter ist als im Kosovo und insofern eine Vereinigung für die Kosovaren keinerlei Vorteile gebracht hätte.
Die soziale und wirtschaftliche Dimension des Konflikts
Demographie
Eine genaue Angabe über die Bevölkerungszahl und die prozentuale Verteilung der Nationalitäten im Kosovo ist im Moment nicht möglich, da die letzte Bevölkerungszählung von 1991 durch die Kosovaren boykottiert wurde und die folgenden Angaben lediglich Schätzungen des Statistischen Zentralbüros in Belgrad sind. Demnach lebten 1993 1.954.747 Einwohner im Kosovo, die sich wie folgt verteilen: Albaner 82,2%, Serben 10 % und 7,8 % andere (u.a. Montenegriner, Türken, Roma). (Die offiziellen Schätzungen der UNICEF gehen eher von einer Einwohnerzahl von 2.150.000 Einwohner aus, wovon fast 90% albanischer Herkunft sind. Der Anteil der Kosovaren an der Gesamtbevölkerung hat sich in nur 10 Jahren seit dem letzten Zensus 1981 von 77,4 % auf 90 % erhöht. Das Kosovo weist damit die höchste Geburtenrate in Europa auf mit ca. 25 Geburten auf 1000 Einwohner in Europa auf. Nach Schätzungen der UNICEF geht die Bevölkerungsexplosion eindeutig auf die hohe Wachstumsrate der Kosovaren zurück (10 Geburten auf kosovoischer Seite zu 1 Geburt auf serbischer). Demnach würden die Kosovaren, wenn die Bevölkerungsentwicklung anhielte, innerhalb des Bundesstaates Jugoslawiens schon 2020 zur Mehrheit, die Serben dagegen zu einer Minderheit werden. Ohne Zweifel hat die Bevölkerungsentwicklung Ängste hervorgerufen, die dazu führten, daß die politische Unterdrückung der Kosovaren aus serbischer Sicht als legitim betrachtet werden muß. Ein Großteil der gesetzlichen Erlasse, wie z.B. der 1995 beschlossenen Gesetzerlaß „Zur Kolonisation im Kosovo“ durch die Regierung der Republik Jugoslawien, sollte das aus serbischer Perspektive empfundene „Mißverhältnis“ der Bevölkerungsgruppen im Kosovo durch Unterdrückung der Kosovaren nachhaltig zugunsten der Serben verändern.
Eine segregierte Gesellschaft durch Sprache und Religion?
Die unterschiedliche Sprache und Religion der Serben und Kosovaren trennt die Bevölkerung im Kosovo voneinander, doch arrangierten sich die Bevölkerungsgruppen über Jahrzehnte ohne wirklich ernstzunehmende Spannungen. Während die Kosovaren überwiegend Muslime sind und Albanisch sprechen, gehören die Serben vornehmlich der Serbisch-Orthodoxen Kirche an und sprechen Serbisch. Der sprachliche und kulturelle Unterschied war und ist insofern ein Sonderfall im ehemaligen Jugoslawien, da in den anderen Landesteilen der Großteil der Bevölkerungsgruppen slawischen Ursprungs ist.
Von 1974 bis 1991 waren in der Provinz Kosovo das Albanische und das Serbische gleichberechtigte Amtssprachen, wobei allerdings nur die Kosovaren die andere Sprache erlernten. Die serbische Politik seit 1991 führte dann zu einer kulturellen Diskriminierung der Kosovaren. Das Verbot des Albanischen als Amtssprache und die Wiedereinführung des kyrillischen Alphabets für das Serbische verstärkten die Gegensätze und führten zu einer faktischen Trennung der Kosovaren und Serben. Die albanischen Sprachschulen wurden von Belgrad nicht mehr finanziert, und es kam in der Folge zu zwei getrennten Ausbildungs- und Schulsystemen. Diese Tabuisierung der albanischen Sprache führte im Gegenzug zu einem Boykott der serbischen Sprache durch die Kosovaren, wodurch die Distanz der Bevölkerungsgruppen zunahm.
Auch die unterschiedliche Religionszugehörigkeit war und ist der Grund für die kulturelle und soziale Trennung der Bevölkerungsgruppen. Obwohl der Kosovo-Konflikt eine Auseinandersetzung zweier unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlichen Religionen ist, kann er dennoch nicht als ein Glaubenskonflikt oder religiös intendierter Konflikt verstanden werden. Zu keiner Zeit führten die Glaubensunterschiede in dieser Region zwischen Serben und Kosovaren zu einem Konflikt, so daß dieser Aspekt für die Ursache des Konfliktes ausgeschlossen werden kann. Allerdings agierte die Serbisch-Orthodoxe Kirche von Anfang an als Sachwalter serbischer Interessen auf der Seite Milosevic‘, und unterstützte die Wiederbelebung des serbischen Nationalismus. Ihr erstarkender Einfluß unter der serbischen Bevölkerung – ein Phänomen der osteuropäischen Transformationsgesellschaften nach dem politischen Umbruch – führte zwar zu einer beschleunigten Verbreitung des serbischen Nationalismus, der aber eher die kulturellen Differenzen und Ansprüche auf das Kosovo in den Vordergrund stellte als die religiösen. Auch auf Seiten der Kosovaren spielte der religiöse Unterschied seit jeher keine entscheidende politische Rolle, was auch daran ersichtlich wird, daß es nie eine fundamental-islamische Bewegung im Kosovo gegeben hat.
Kosovo – das Armenhaus Jugoslawiens
Die schlechte ökonomische Situation des Kosovo seit Beginn der 80er Jahre ist einer der entscheidenden Gründe für die Politisierung der Kosovaren. Erste Protest- und Streikwellen gab es denn auch schon 1981. Das Kosovo ist aus der ökonomischen Krise Jugoslawiens, die durch hohe Inflationsraten, eine hohe Auslandsverschuldung und ein negatives Handelsbilanzdefizit gekennzeichnet war, als eindeutiger Verlierer hervorgegangen. Seit diesen Krisenjahren bildet das Kosovo das ökonomische Schlußlicht Jugoslawiens.
Das entscheidende wirtschaftliche Problem Jugoslawiens war und ist das große Entwicklungsgefälle zwischen den Republiken. Man kann es sich als ein Entwicklungsgefälle vostellen wie zwischen Staaten der Ersten und Dritten Welt. Das überdurchschnittliche Bevölkerungswachstum verhindert eine Überwindung der ökonomischen Krise zusätzlich. Die Regierung zeigte seit den 80er Jahren keine wirklichen politischen Ansätze, das Problem zu lösen. Weder wurde die Infrastruktur ausreichend verbessert noch kam es zur Schaffung von Arbeitsplätzen im primären Sektor, der aufgrund der reichlich vorhandenen Bodenschätze erhebliche Wachstumspotentiale bieten könnte. Die Arbeitslosenquote lag 1984 nach offiziellen Angaben bei 36%, wohingegen man bei inoffiziellen Erhebungen einen Wert von beinahe 50% hat. Das Durchschnittseinkommen lag deutlich unter dem Restjugoslawiens. Die daraus resultierenden schlechten Lebensbedingungen im Kosovo waren das „Zünglein an der Waage“, das die ersten Studentenproteste im März 1980 auslöste. Erst die gewaltsame Unterdrückung dieser Forderungen durch die Polizei und die mangelnde politische Bereitschaft Belgrads, die wirtschaftliche und soziale Situation im Kosovo zu verbessern, führten zu einer zunehmenden Politisierung der Kosovaren und verstärkte die Forderung nach politischen Veränderungen.
Die serbische Politik seit 1991 hat die schlechte wirtschaftliche und soziale Lage zusätzlich verschärft, allerdings nur für die Kosovaren. Während sich für die Serben im Kosovo durch Gesetzgebung und finanzielle Unterstützung die Lebensbedingungen verbesserten, wurden die Kosovaren durch die sich verschlechternden Umstände zur Emigration gezwungen werden. Die Massenentlassungen von Kosovaren aus Verwaltung, dem Bildungs- und Gesundheitssektor führten zu einer beabsichtigten Verschärfung der Situation des Arbeitsmarktes und einer Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen der Kosovaren. Diese serbische Politik seit Anfang der 90er Jahre beabsichtigte eine indirekte Vertreibung der Kosovaren aus dem Kosovo und gleichzeitig einer gezielten „Serbisierung“ der Provinz.
Der Konflikt als Folge der mutwilligen Veränderung des politischen Status des Kosovo?
Der lange Weg zur autonomen Provinz Kosovo
Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielten die Vojvodina und das Kosovo durch ein Gesetz der serbischen „Volksversammlung“ vom 03.09.1945 den Status einer „autonomen Region“ innerhalb der Serbischen Republik. Allerdings war dieser politische Status nicht festgeschrieben, sondern unterlag der Auslegung des serbischen Parlaments. Im Januar 1946 bestätigte dann die jugoslawische Verfassung den Autonomiestatus, allerdings eng begrenzt auf Befugnisse regionaler Wirtschafts- und Kulturpolitik sowie der Überwachung der Bürgerrechte. Die Regionen durften Vertreter zu föderalen Gremien entsenden, jedoch waren sie im Parlament der Serbischen Republik nicht vertreten, das über die Innenpolitik der ganzen Republik und somit auch der Regionen bestimmte.
Der Bruch Titos mit Stalin im Jahre 1948 führte zu einer massiven Verschlechterung der Beziehungen zwischen Jugoslawien und Albanien, das weiterhin die sowjetische Position unterstützte. Es kam immer wieder zu militärischen Auseinandersetzungen an der albanisch-jugoslawischen Grenze. Diese führten zu einer massiven Diskriminierung der Kosovaren, die sich aufgrund der gleichen Sprache und Kultur als Zughörige zur albanischen Nation bekannten und sich außerdem gegen die Kollektivierung der Landwirtschaft wandten. Die Kosovaren waren in dieser Zeit massiven Verfolgungen der jugoslawischen Staatspolizei ausgesetzt, da ihnen „Separatismus“ vorgeworfen wurde. Die soziale und wirtschaftliche Lage der Kosovaren im Kosovo verschlechterte sich zusehends und führte zu einer großen Auswanderungswelle. Im Jahre 1963 erhielt das Kosovo zwar offiziell die Bezeichnung einer „autonomen Republik“, de facto wurde seine Autonomie jedoch weiter beschnitten. Die neue jugoslawische Verfassung überließ es den Republiken eigenverantwortlich, Provinzen zu schaffen und aufzulösen. Dadurch verlor der Kosovo siene verfassungsrechtliche Garantie. Es lag in der alleinigen Verantwortung Serbiens, wie es mit dem Kosovo verfahren wollte. Erst der Sturz des berüchtigten serbischen Innenministers und Geheimdienstchefs A. Rankovic im Jahre 1966, der als „Feind der Albaner“ bekannt war, brachte das Ende der Diskriminierung und ein Mindestmaß an politischen Rechten. Auch der erste Besuch Titos nach 16 Jahren im Kosovo im März 1967 führte zu verstärkten politischen Bemühungen, wie in seiner folgenden Erklärung deutlich wird: „Wir können nicht von Gleichheit sprechen, wenn Serben eine Priorität in Fabriken eingeräumt wird […] und Albaner trotz ihrer besseren Qualifikation nicht eingestellt werden.“ Im Jahre 1969 wurde dies bereits dadurch deutlich, daß den Kosovaren die Benutzung der albanischen Flagge mit dem Doppelkopfadler erlaubt und im gleichen Jahr die Universität von Pristina gegründet wurde.
Von der Autonomie ans Gängelband Milosevics
In der neuen Verfassung von 1974 wurde schließlich dem Kosovo der Status einer autonomen Provinz zugesichert. Dieser Status bedeutete eine annähernde Gleichstellung des Kosovo mit den Republiken der Jugoslawischen Föderation. Einer der Unterschiede war das fehlende Sezessionsrecht, d.h. das Recht, aus der Föderation auszutreten, welches nur die Republiken innehatten. Durch die Verfassung wurde der Provinz Kosovo ein Sitz im föderalen Parlament, das Recht auf eine eigene Verfassung, eine konkurrierende Gesetzgebung und die Sprachautonomie (Albanisch wurde neben dem Serbokroatischen zur Amtssprache) garantiert. Allerdings blieb das Kosovo ein Teil der serbischen Republik und unterstand somit auch der serbischen Autorität. Es folgte eine kurze kulturelle Blütezeit im Kosovo, die auch das Selbstverständnis der Kosovaren stärkte.
1981 fanden – wie bereits erwähnt – Massendemonstrationen und Streiks im Kosovo statt, welche vor allem durch die schlechten Lebensbedingungen im Kosovo hervorgerufen wurden. Schnell folgten aber auch Forderungen nach demokratischen Reformen und nach dem Austritt des Kosovo aus der serbischen Republik (zur Gründung einer eigenen Republik Kosovo). Besonders die Unabhängigkeitsforderung führte zu einem massiven Einschreiten der serbischen Polizei, welche die Protestwelle mit Massenverhaftungen und anderen rigorosen Mitteln gewaltsam unterdrückte.
1986 erfolgte der politische Aufstieg von Slobodan Milosevic, der zuerst die Parteiführung und ein Jahr später die Präsidentschaft übernahm. Er schürte den serbischen Nationalismus, indem er die anti-albanischen Ressentiments der Serben an der Kosovo-Frage neu entfachte, deutlich wird dies an seiner Rede vor mehr als einer Million Serben auf dem Amselfeld am 28.06.1989 anläßlich des Gedenkens an die „sageumworbene“ Schlacht. Die Kernpunkte seiner Politik waren der Stopp der Auswanderung von Serben aus dem Kosovo und die vollständige serbische Kontrolle des Kosovo durch die Abschaffung der Bundesverfassung von 1974. Die schnelle Gleichschaltung der serbischen Medien und die organisierten Massendemonstrationen in Serbien führten zur Stärkung seiner Politik und damit seiner Machtposition. Fingierte Berichte über Greul taten von Kosovaren an Serben wurden über die Medien verbreitet und schürten zusätzlich die anti-albanischen Ressentiments.
Im Kosovo fanden Massenproteste und Streiks statt, um gegen die Forderung Milosevics nach der Aufhebung des Autonomiestatus des Kosovo zu demonstrieren. Diese großen Protestwellen im Kosovo seit Ende 1988 wurden als Vorwand benutzt, um im Februar 1989 über das Kosovo den Ausnahmezustand zu verhängen, indem sie als Beweise für eine „Konterrevolution“ und separatistische Bestrebungen interpretiert wurden. Der Ausnahmezustand führte zu der Entsendung von Sonderpolizei-Einheiten und der jugoslawischen Armee in das Kosovo. Massenverhaftungen und Verurteilungen waren an der Tagesordnung.
Das serbische Parlament beschloß im März 1989 eine Verfassungsänderung, welche die Autonomie des Kosovo faktisch aufhob. Der klare Verfassungsverstoß, da zuerst die autonomen Provinzen über die Verfassungsänderung hätten abstimmen müssen, wurde im nachhinein „scheinbar“ legitimiert, indem dem Parlament im Kosovo die schon beschlossene Änderung am 23. März 1989 vorgelegt wurde. Trotz massiver Androhungen von Repressionen gegenüber den Parlamentsmitgliedern sowie der Umstellung des Parlamentsgebäudes durch serbische Panzer waren 150 der 184 Delegierten anwesend. Ein Großteil der Kosovaren enthielt sich der Stimme, da ihnen angedroht wurde, daß ein Nein als „Konterrevolutionärer Akt“ geahndet werden würde. 60 Delegierte stimmten für eine Verfassungsänderung, während es nur 10 Gegenstimmen gab. Der serbische Präsident erklärte daraufhin die Verfassungsänderung für gültig, obwohl eigentlich eine Zweidrittelmehrheit notwendig gewesen wäre. Serbien kontrollierte nun unmittelbar Polizei, Justiz, Zivilverteidigung, Unterrichtswesen und Wirtschaftsverwaltung. Alle Spitzenposten besetzte Belgrad aus eigener Machtvollkommenheit.
Es folgten Monate heftiger und zum Teil gewaltsamer Proteste von Kosovaren gegen die neue Verfassung, die durch den massiven Einsatz von Polizei und Armee immer wieder niedergeschlagen wurden: Tote und Massenverhaftungen waren an der Tagesordnung. Als im März und April 1990 Hunderte überwiegend kosovarische Kinder mit Vergiftungssymptomen aus nie ganz aufgeklärten Ursachen in Krankenhäuser eingeliefert werden mußten, führte dies zu einer Massenhysterie, die sich in gewaltsamen Aktionen gegen Serben entlud. Der Vorfall lieferte der serbischen Führung den Vorwand, die kosovarische Miliz durch etwa 2.500 serbische Polizisten zu ersetzen und den Kosovo faktisch „gleichzuschalten“. Milosevic erreichte dies durch eine Verbindung von Notfallmaßnahmen, Verwaltungsbeschlüssen und Gesetzen. Viele der kosovarischen Bediensteten in Verwaltung, Justiz und in den staatlichen Schlüsselindustrien bei Post, Banken, Krankenhäusern wurden entlassen, genauso wie Lehrer und Professoren. Die albanische Sprache war als Amtssprache nicht länger zugelassen.
Gewaltloser Widerstand der Kosovaren von 1990-1997
Im Mai 1990 folgte der Austritt der kosovarischen Delegierten aus dem Parlament als Protest gegen die neue Verfassung und die Vorgehensweise der Polizei. Am 2. Juli 1990 versammelten sich die kosovarischen Delegierten vor dem Parlamentsgebäude und erklärten die Unabhängigkeit der Republik Kosovo von Serbien. Trotz massiver Repressionen gegen die Delegierten wurde am 07.09.1991 in Kacanik in einer geheimen Sitzung die Verfassung der unabhängigen Republik Kosovo verkündet, die ein Jahr später durch ein inoffizielles Referendum bestätigt wurde. Die Unabhängigkeitserklärung wurde von Milosevic für ungültig erklärt und nur von Albanien als einziges Land anerkannt.
Diese Ereignisse machen den Wandel hin zu einer neuen politischen Kultur deutlich, die sich des gewaltlosen Widerstandes verschrieb. Die einflußreichste Partei dieser politischen Bewegung war die LDK („Demokratische Liga des Kosovo“) unter der Leitung des Literaturhistorikers Dr. Ibrahim Rugova, die im Dezember 1989 gegründet worden war. Als Folge der Unabhängigkeitserklärung der Republik Kosovo wurden für den Mai 1992 Wahlen für ein Untergrund-Parlament und die Präsidentschaft ausgeschrieben. Die Serben im Kosovo boykottierten die Wahl, obwohl 14 der 130 Sitze des Parlaments für serbische Delegierte reserviert wurden. Der überwältigende Sieg der LDK mit 76,4% führte zur Wahl Rugovas zum Präsidenten. Rugovas drei Zielsetzungen waren: Eine konsequent betriebene Politik des passiven und gewaltfreien Widerstandes; der Versuch der Internationalisierung des Kosovo-Konfliktes und des weiteren der Versuch des Aufbaus eines eigenen Staatsapparates, um somit die serbische Oberhoheit zu unterwandern. Für den 24.07.1992 war die konstituierende Sitzung des neu gewählten Parlamentes angesetzt, doch kam es aufgrund der massiven serbischen Polizeipräsenz nie dazu. Spätere Sitzungen wurden immer wieder vertagt und bald aufgrund der politischen Lage als zu gefährlich eingestuft.
Es entstand ein getrenntes Leben zwischen Serben und Kosovaren innerhalb des Kosovo – ein der Apartheid vergleichbares System. Die forcierte „Serbisierung“ des Kosovo führte zu einer Verdrängung der Kosovaren aus dem öffentlichen Leben, da sie ihren Arbeitsplatz verloren hatten. Menschenrechtsverletzungen waren an der Tagesordnung. Die durch die serbischen Repressionen am stärksten betroffenen Bereiche des öffentlichen Lebens waren der Gesundheits- und der Bildungssektor. Die Massenentlassungen hatten im Gesundheitswesen eine dramatische Unterversorgung zur Folge, so daß insbesondere Kinder nicht mehr adäquat versorgt werden konnten. Der später einsetzende Boykott des serbischen Gesundheitssystems führte zum Aufbau eines kosovarischen Gesundheitssystems, das aber aufgrund finanzieller Mängel eine ausreichende Versorgung nicht sicherstellen konnte. Im Bildungssektor versuchte Belgrad dem Kosovo das einheitliche serbische System aufzuoktroyieren, welche die albanische Kultur und Sprache weitgehend ausschloß. Lehrer, die das neue System ablehnten, wurden entlassen, kosovarische Schulen und auch die Universität in Pristina wurden geschlossen. Es entstand ähnlich wie im Gesundheitssektor ein paralleles Bildungssystem zum serbischen, das hauptsächlich durch Spenden von Kosovaren im Ausland finanziert wurde. Dabei wurde der Unterricht im wesentlichen in privaten Häusern abgehalten. Durch massiven internationalen Druck kam am 1.09.1996 in Rom nach geheimen Verhandlungen ein provisorisches Bildungsabkommen zwischen Milosevic und Rugova zustande, was zur Normalisierung des Bildungssektors führen sollte. Die Unterschrift beider Politiker unter dem Abkommen wurde als erste faktische Anerkennung Rugovas als legitimer Repräsentant der kosovarischen Bevölkerung verstanden, obwohl die Gespräche über die Implementierung des Bildungsabkommens am 10.10.1997 scheiterten.
Die UÇK und die Rückkehr der Gewalt
Die Beendigung des Bosnienkrieges durch die Daytoner Konferenz im November 1995 änderte nichts an der sozialen und politischen Situation im Kosovo. Rugovas Position und Einfluß im Kosovo wurde dadurch nachhaltig geschwächt. Trotz zahlreicher Versuche Rugovas, das Kosovo Problem auf der Daytoner Konferenz zu behandeln, wurde die Bundesrepublik Jugoslawien von den Staaten der Bosnien-Kontaktgruppe anerkannt, ohne die politische Situation des Kosovo zu berücksichtigen. Rugovas Politik des gewaltfreien und passiven Widerstandes stand immer mehr im Mittelpunkt der Kritik. Im Frühjahr und Sommer 1996 kam es nach fast sechs Jahren ohne gewaltsame Aktivitäten erstmals zu terroristischen Racheanschlägen auf serbische Institutionen und Verantwortliche, zu denen sich die noch fast unbekannte UÇK („Befreiungsarmee des Kosovo“) bekannte.
Die UÇK wurde wahrscheinlich Ende 1992 gegründet, trat aber erst 1997 an die Öffentlichkeit, als ihre Kommandostrukturen gefestigt und der Rückhalt in der Bevölkerung gesichert waren. Sie bekannte sich im Gegensatz zur Politik Rugovas zu einem gewaltsamen Kampf für die staatliche Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien. Der starke Rückhalt in der Bevölkerung läßt sich vor allem durch die erfolglose Politik Rugovas erklären. Die Grenze des Ertragbaren war überschritten: Sechs Jahre des gewaltfreien Widerstands gegen die serbische Apartheidspolitik hatten an der politischen und sozialen Situation im Kosovo nichts verändert. Die Politik des gewaltfreien Widerstandes hatte in den Augen der Kosovaren versagt, da es weder zu einer politischen und sozialen Verbesserung noch zu einer Intervention der Großmächte gekommen war. Die Bevölkerung sah nun ihre einzige Chance auf Verbesserung ihrer Lage im gewaltsamen Kampf der UÇK gegen die serbische Unterdrückung.
Die Plünderung von Kasernen und Polizeidepots während der Unruhen in Albanien Anfang 1997 ermöglichten es der UÇK wahrscheinlich, sich umfangreich zu bewaffnen, indem Munition und Waffen über die grüne Grenze von Albanien in das Kosovo gelangten. Die steigende Akzeptanz in der Bevölkerung sowie die Zunahme des Organisationsgrades der UÇK führten zu einem größeren Selbstvertrauen und zu einem erstmaligen öffentlichen Auftritt von UÇK-Kämpfern auf der Beerdigung eines Dorflehrers Ende November 1997 in Sbrica, der bei einem Gefecht zwischen serbischen Polizeieinheiten und UÇK-Kämpfern getötet worden war. Durch eine verbesserte Logistik der UÇK gelang es erstmals, die Kontrolle in einigen Hochburgen so zu festigen, daß die serbische Polizei de facto ausgeschaltet war. (Drenica-Region). Die UÇK hatte sich mehr und mehr zu einem politischen Machtfaktor im Kosovo gewandelt, ohne den eine Lösung der Kosovo-Krise nicht mehr möglich schien. Ein Treffen zwischen Richard Holbrooke, dem amerikanischen Unterhändler, und dem UÇK-Kommandanten Lum Haxhiu am 24.07.1998 in Junik, nahe der albanischen Grenze, machte dies deutlich. Rugova, der noch bis Anfang 1998 die UÇK als eine serbische Erfindung darstellte, wurde zwar am 22.03.1998 durch eine erneute Parlamentswahl wiedergewählt. Politische Bedeutung hatten die Wahlen nicht mehr. Die politischen Mittel galten als erschöpft, und die Kosovaren hofften, durch die anfänglichen Erfolge gestärkt, jetzt auf die gewaltsame Durchsetzung der Souveränität der Republik Kosovo durch die UÇK. Sie war somit als Repräsentant der Mehrheit der Kosovaren akzeptiert.
Die ersten Großeinsätze der serbischen Polizei fanden in der Drenica-Region statt, da man sich durch ein schnelles Vorgehen gegen die Hochburgen der UÇK einen schnellen Sieg erhoffte. Die Folge dieser Einsätze am 01.03.1998 und am 06.-08.03.1998 führten zu zwei Massakern, bei denen mehr als 80 Kosovaren, darunter Kinder und in der Mehrzahl ältere Menschen, ums Leben kamen. Bis zum Beginn der großen serbischen Sommeroffensive Ende Juli 1998 konnte die UÇK durch Guerillamethoden noch Gegenwehr leisten, mußte dann aber vor der groß angelegten Offensive der jugoslawischen Armee fliehen, die von langer Hand vorbereitet worden war. Die Folge war der Rückzug der UÇK und die systematische Vertreibung von mehr als 300.000 Kosovaren, deren Häuser zerstört und Ortschaften gebrandschatzt wurden. Erst durch massiven Druck und der Androhung von Luftangriffen der NATO konnte ein Teilrückzug der serbischen Polizei und jugoslawischen Armee am 12.10.1998 erreicht werden. Den Waffenstillstand nutzte die UÇK, um in die Regionen zurückzukehren. Zwischen Mitte Dezember und Weihnachten 1998 brach der Waffenstillstand endgültig zusammen. Die jugoslawische Armee sowie die Sonderpolizei kehrten in das Kosovo zurück und mit ihnen auch die Not der Zivilbevölkerung, die sich wieder zur Flucht gezwungen sah.
Rambouillet – Der Versuch einer friedlichen Lösung
Nach der erneuten Eskalation der Gewalt im Kosovo und dem Massaker in Racak, das vermutlich 45 kosovarischen Zivilisten das Leben kostete, kündigten die Regierungen der Kontaktgruppenländer (USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien und Rußland) die Vorlage eines politischen Lösungskonzeptes für die gegnerischen Parteien an. Dieses Konzept beinhaltete einen Entwurf für eine politische Lösung und war verbunden mit einem Ultimatum an Jugoslawien, an einer Konferenz zur Kosovafrage in Rambouillet (einer Stadt südwestlich von Paris) teilzunehmen. Der Vertragsentwurf sah eine „weitreichende Autonomie“ des Kosovo innerhalb der Republik Serbien vor.
Er umfaßte:
- eine friedliche Lösung des Konfliktes durch den Dialog zwischen den gegnerischen Parteien nach einem Waffenstillstand;
- eine dreijährige Übergangsphase bis zu einer definitiven Lösung;
- die Wahrung der Rechte aller Volksgruppen;
- den Verzicht auf Strafverfolgung für alle Handlungen, die während des Konfliktes begannen wurden, mit Ausnahme von Kriegsverbrechen;
- sowie eine Garantie über die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat.
Am 06.02.1999 trafen sich die Delegationen der Konfliktparteien in Rambouillet unter dem Vorsitz der Außenminister von Frankreich und Großbritannien, Hubert Védrine und Robin Cook. Die jugoslawische Delegation unter dem Vorsitz des serbischen Präsidenten Milan Milutinovic und die kosovarische unter dem Vorsitz des UÇK-Führers Hacim Thaqi, sollten in getrennten Verhandlungen zu einer Zustimmung für einen politischen Autonomiestatus des Kosovo überredet werden, bevor in der zweiten Woche der Verhandlungen ein Konzept für die zivile und militärische Implementierung verhandelt werden sollte.
Die jugoslawische Delegation zeigte eine prinzipielle Bereitschaft zur Unterzeichnung einer Autonomieregelung des Kosovo, forderte aber erhebliche Änderungen, so z.B. eine Einschränkung der Kompetenzen für Parlament und Justizbehörden des autonomen Kosovo und die gänzliche Ausklammerung der Zuständigkeit des UNO-Kriegsverbrechertribunals für die im Kosovo begangenen Verbrechen. Sie sperrte sich schließlich auch gegen eine verbindliche Garantieerklärung bezüglich der Rückkehr sämtlicher Flüchtlinge und Vertriebenen in ihre Dörfer.
Die kosovarische Delegation ließ ein Einverständnis für das vorgeschlagene Autonomiestatut erkennen, machte aber die Unterzeichnung von zwei Punkten abhängig: Erstens müsse das politische Abkommen einen Teil über die militärische Implementierung durch NATO-Truppen enthalten. Und zweitens solle ein völkerrechtlich verbindliches Referendum im Kosovo nach der dreijährigen Übergangszeit über den endgültigen Status des Kosovo entscheiden. In der zweiten Woche wurde von dem US-amerikanischen Sonderbotschafter Christopher Hill der Entwurf für die militärische Implementierung einer Autonomieregeleung vorgelegt. Dieser enthielt Bestimmungen zur Stationierung einer internationalen Truppe (Kosovo Forces, KFOR) mit knapp 30.000 Soldaten im Kosovo unter Führung der NATO.
Der endgültige Vertragsentwurf war somit ein 82-seitiges Papier, das den politischen Teil sowie die zivile und militärische Implementierung enthielt. Unter dem Druck von US- Außenministerin Madeleine Albright stimmte die kosovarische Delegation dem Gesamtvertrag zu und bestanden nicht mehr auf die durchführung eines Referendums im Kosovo. Die Verhandlungen wurden am 23.02.1999 abgebrochen, da die jugoslawische Delegation zwar den politischen Teil anerkannte, aber eine militärische Implementierung grundlegend ablehnte. Am 15.03.1999, dem Beginn der Folgekonferenz, die in die Pariser Rue Kleber verlegt worden war, blieb die jugoslawische Delegation bei der Weigerung, die Implementierung zu unterzeichnen und legte einen 40-seitigen Alternativentwurf für die politische Autonomieregelung vor, in der eine grundlegende Veränderung des Entwurfs der Kontaktgruppe gefordert wurde. Mit der Unterzeichnung des Vertragsentwurfs durch die kosovarische Delegation am 18.03.1999 wurde die Konferenz ohne erneute Verhandlungen mit der jugoslawischen Delegation beendet. Als auch ein letzter Vermittlungsversuch Holbrookes am 22.03.1999 in Belgrad scheiterte, begann die NATO in der Nacht zum 25.03.1999 mit der Bombardierung Serbiens.
Chronologie
Bis zum 12. Jhr. | Das Kosovo gehört zum byzantinischen Reich. |
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Ende des 12. Jhr. | Das Kosovo wird Teil des serbischen Reiches unter Stefan Nemanja. |
28. Juni 1389 | Serbische Niederlage gegen die Türken in der Schlacht auf dem Amselfeld |
1455 | Das Kosovo kommt endgültig unter osmanische Herrschaft. |
1690 | Exodus von über 30.000 serbischen Familien aus dem Kosovo nach Ungarn. |
1878 | Gründung der „Liga von Prizren“, die für ein autonomes Albanien einschließlich des Kosovo eintritt. |
1912 | Die Serben erobern das Kosovo im Ersten Balkankrieg. |
1918 | Das Kosovo wird Teil des Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen. |
1941 | Das Kosovo wird von Deutschland, Italien und Bulgarien besetzt. |
1945 | Das Kosovo wird Teil Serbiens innerhalb der Sozialistischen Föderation Jugoslawiens. |
1974 | In der neuen jugoslawischen Verfassung wird den autonomen Provinzen Kosovo und Vojvodina eine umfassende Autonomie zugestanden. |
1981 | Erste Unruhen im Kosovo mit Massenstreiks, die gewaltsam beendet werden. |
1987 | Slobodan Milosevic wird Parteichef der Kommunisten in Serbien. |
März 1989 | Auf verfassungswidrigem Weg hebt das serbische Parlament die Autonomie des Kosovo auf. |
23. März 1989 | Der verfassungswidrige Akt wird durch eine Abstimmung im Parlament des Kosovo „scheinbar“ legitimiert. |
2. Juli 1990 | Unabhängigkeitserklärung der Republik Kosovo durch die kosovarischen Parlamentarier. |
7. September 1991 | Verkündigung der Verfassung der Republik Kosovo in geheimer Sitzung. |
Mai 1992 | Rugova und seine Partei LDK gewinnen die von serbischen Behörden verbotenen, aber kaum behinderten Wahlen im Kosovo. |
April 1996 | Nach der Erschießung eines Albaners durch die Polizei werden fünf Serben, unter ihnen ein Polizist, von Unbekannten erschossen. Eine bislang unbekannt UÇK bekennt sich zu den Anschlägen. |
November 1997 | Erster öffentlicher Auftritt der UÇK bei einem Begräbnis. |
Anfang 1997 | Bei Unruhen in Albanien werden Kasernen und Polizeidepots geplündert. |
März 1998 | Bei zwei Massakern werden ca. 80 Zivilisten von serbischen Sondereinheiten getötet. |
Juli 1998 | Beginn der serbischen Großoffensive im Kosovo. |
Oktober 1998 | Waffenstillstand und Teilrückzug der serbischen Armee durch massiven Druck der NATO. |
Dezember 1998 | Erneute Gefechte im Kosovo. |
15. Januar 1999 | Massaker an 45 Zivilisten durch serbische Einheiten in Racak. |
16. Februar 1999 | Beginn der Verhandlungen in Rambouillet. |
17. März 1999 | Beginn der Folgekonferenz in der Pariser Rue Kleber |
19. März 1999 | Letzter Versuch Richard Holbrooke Milosevic in Belgrad Serbien zum Einlenken zu bewegen. |
24. März 1999 | Beginn der Luftangriffe der NATO auf Jugoslawien. |
Glossar
Amselfeld – In Serbisch: „Kosovo Polje“ – Die zentrale fruchtbare Hochebene im Kosovo und Schauplatz der Schlacht vom 28. Juni 1389.
Autokephal – Unabhängigkeit orthodoxer Landeskirchen.
Bruch Titos mit Stalin – Tito hat versucht 1948 mit Albanien und Bulgarien eine Balkanföderation zu begründen, was durch Moskau verhindert wurde. Seine Weigerung, sich dem sowjetischen Führungsanspruch bedingungslos unterzuordnen, führte zum Bruch mit Moskau und einer stärkeren Anbindung Jugoslawiens an die westlichen Länder.
Frieden von Dayton – Das Friedensabkommen von Dayton beendete den Jugoslawienkrieg am 21.11.1995 durch eine Einigung der Konfliktparteien in Dayton/USA. Das Abkommen umfaßte einen politischen und militärischen Teil, dessen Umsetzung durch die Stationierung einer 60.000 Mann starken Truppe (IFOR) unter NATO-Kommando überwacht wurde.
Transformationsgesellschaften – Mit dem Begriff werden in der Wissenschaft die gesellschaftlichen Folgen von Systembrüchen bezeichnet, insbesondere in den osteuropäischen Staaten nach dem Übergang vom realsozialistischen zum marktwirtschaflichen System (z.B. Hinwendung zur eigenen Tradition und Religion und daraus entstehender Nationalismus).
Literaturhinweise
- Büschenfeld, Peter: Kosovo. Nationalitätenkonflikt im Armenhaus Jugoslawiens. Köln 1991.
- Duda, Helga: Nationalismus – Nationalitäten – Nation.
Der Fall Albanien unter Berücksichtigung des Kosovo. München 1991. - Malcolm, Noel: Kosovo. A short history. London, 1998.
- Moennesland, Sven: Land ohne Wiederkehr. Ex-Jugoslawien. Die Wurzeln des Krieges.
- Schmid, Thomas: Krieg im Kosovo. Reinbek bei Hamburg 1999.
Über den Autor
Gerald Labitzke wurde am 18.05.1974 in Berlin geboren. Er studiert seit dem Sommersemester 1996 Geschichte, Politische Wissenschaften und Volkswirtschaft (M.A.) an der RWTH Aachen. E-mail an den Autor: ge_labit@excite.com